Ich treffe die Tochter von einer Bewohnerin, sie spricht mich an:
„Du, bei Mama habe ich den Schrank mal umgeräumt, es fehlt ihre Winterjacke!“ sagt sie.
„Gestern hatte sie die Jacke noch an, die wurde danach wieder im Schrank untergebracht.“ antworte ich.
„Ne, da ist keine Jacke. Kann ja wohl nicht sein, die gute Jacke ist weg. So eine hochwertige und teure Jacke, einfach weg. Da muss die Haftpflichtversicherung einspringen, so etwas sehe ich nicht ein. Ich kaufe da eine extrem teure Winterjacke für meine liebe Mama und die ist einfach weg.“ sagt sie.
„Du, ich schaue mal wo die sein könnte. Vielleicht finde ich sie wieder.“ sage ich.
„Ja, wenn nicht gehe ich zum Heimleiter. Ich komme morgen wieder, vielleicht ist die Jacke wieder da.“ meint sie.
Also ab zu Schrank, mal nachschauen. Klar, in ihrem Aufräumwahn sehe ich die Jacke, sie hängt zwischen den Hemden. Eine Jacke vom Kaffeeröster, sooo sündhaft teuer kann die auch nicht gewesen sein.
Am nächsten Tag kommt die Tochter wieder:
„Sven, hat sich was getan mit der Jacke?“ fragt sie.
„Ja, die Jacke ist da, war zwischen den Blusen.“ sage ich.
„Ah so, ich habe den Schrank aufgeräumt und dabei das Licht nicht angemacht, habe ich vielleicht übersehen. Aber meine liebe Mutter hier meint sie hätte zwei Winterjacken gehabt. Wo ist die andere Winterjacke, hmm? Eine beige Jacke war es laut meiner Mutter.“ meint sie.
„Ne, vor Jahren hatte sie mal ein Art Sommermantel in beige, die erinnerte mich immer an Columbo, der hat so etwas in jeder Folge getragen.“ sage ich.
„Jetzt wo Du es sagst fällt es mir wieder ein!“ sagt sie.
Toll, zum Glück ist es mir eingefallen, sonst hätte sie wieder die ganze Bude nach der nicht vorhandenen Jacke durchsucht.
„Aber wo Du schon mal hier bist: Letzte Woche hattest Du doch einen neuen Schal für deine Mutter gekauft….“ sage ich.
„Jaaa, wieso, der war teuer, ist der weg? Was ist mit dem Schal? Ist der kaputt?“ mault sie.
„Ne, der Schal passt vorne und hinten nicht, er ist einfach zu kurz.“ sage ich.
„Ne, ich habe doch an mir Maß genommen.“ sagt sie.
„Dir passt der, eure Mutter hat aber bestimmt 20 Kilo mehr auf den Rippen.“ antworte ich.
„Ne, das probiere ich jetzt aus.“ sagt sie.
Mitten auf dem Flur wird der dementen Mutter der Schal um den Hals gelegt.Siehe da, der Pfleger hat nicht gelogen, der Schal ist 20 Kilometer zu kurz.
„Hmmm, der ist wirklich zu kurz!“ grübelt sie.
„Haste mir das jetzt nicht geglaubt oder was?“ frage ich.
„Na, ne, hmm, kann ja sein…“ sagt sie
Das kann natürlich sein. Ich hatte nämlich den Schal erst um den Hals geschnürt und dann durch die Hose. So hat man doch bessere Kontrolle über den Bewohner. Wir, oder allgemein die Mitarbeiter in der Pflege sind da nicht sehr helle in der Birne. Gerade beim Thema Schal ist äußerste Präzision gefragt, so etwas erledigen nur examinierte Pflegefachkräfte in unserem Haus. So etwas benötigt jahrelange Übung gepaart mit Fortbildungen über mehrere Tage.
„Ach so, richtig.“ sage ich.
„Ich sehe der Schal ist zu kurz, ich nehme ihn mit nach Hause.“ sagt sie.
Morgen kommt er nochmal wieder, mal sehen was dann los ist.
Ja, da muss man schon eine Menge von etwas schwarz angehauchtem Humor haben, um den Dienst auf Dauer überstehen zu können. Mein Sinn dafür reichte nicht aus, gut dass es andere gibt, die das alles ab können im Pflege-Alltag. Einen herzlichen Gruß von Claudia Overmann.
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Ach, da habe ich noch genug von.
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Was bin ich froh, dass Du den Job machst. Böse Kommentare für sich behalten kann auch nicht jeder. Hoffentlich bekommt man vor lauter Runterschlucken nicht ein Magengeschwür. Ach ja – Du erzählst es ja uns und damit ist es raus 🙂
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Diese Seite ist dann mein Ventil.
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Also, also ich, ich hätte da nicht ruhigbleiben können und spätestens bei der Gürtelsache dem Sohn den Einzug in der Einrichtung angeraten …
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Manchmal bin ich mir sogar unsicher ob das überhaupt noch jemand lesen will da es wirklich ständig passiert, ist also für uns nicht wirklich ein Grund sich aufzuregen.
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Oh doch, ich lese hier sehr gern.
(Manchmal brauch ich solche Geschichtchen, um mir sagen zu können, daß ich noch ziemlich normal ticke.)
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Ich bin selber Altenpflegerin und kenne solche Situationen nur zu gut. Deswegen freue ich mich auch über neue Einträge, damit ich merke, dass ich nicht alleine solche Situationen erlebe 🙂
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Das Thema Kleidung ist ein hoch emotionales unter Angehörigen und es wird sehr unterschiedlich in den Heimen damit umgegangen. Im ersten Heim, in dem meine Mutter war, mußte ich als erste Amtshandlung 60 Euro „für das Einmerken der Kleidung“ bezahlen. Es wurden dann in die Unterwäsche Namensschildchen eingenäht. Die Oberbekleidung wurde nicht eingemerkt, weil „das egal ist, wenn ein/e Bewohner/in mal was von jemand anderen trägt“.
Als meine Mutter ein Jahr später in ein anderes Heim zog waren 80 Prozent ihrer Kleidung nicht mehr auffindbar. Die Kleidung wurde übrigens innerhalb des Heimes gewaschen.
im zweiten Heim wurden 15 Euro verlangt. Alles wurde eingemerkt mit einer Art Einbrennverfahren. Nach sechs Jahren Aufenthalt in diesem Heim war kein einziges Kleidungsstück verschwunden. Die Wäsche wurde außerhalb in einer Einrichtung für geistig Behinderte gewaschen.
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Kleidung ist im Heim ein unerschöpfliches Thema. Ich liebe es z. B. sehr, wenn jemand als Kurzzeitpflege kommt und genau 2 Unterhosen, zwei Pullis und eine Hose mitbringt. Soll er das dann wochenlang tragen? Grrr.
Cool ist auch die neue Azubine. Sollte 4 Leute pampern und ausgehfertig machen, weil die zu einem Ausflug abgeholt wurden. An dem Tag wars kalt und es regnete. Ich staunte nicht schlecht, als ich die „ausgehfertigen“ Bewohner sah. Keiner hatte feste Schuhe an, zwei hatten keine Jacke an. Auf meine Frage erwiderte Miss Azubi, das die beiden keine Jacke wollten und sie außer Sandalen keine Schuhe gefunden hätte. In nullkommanix zauberte ich feste geschlossene Schuhe aus den Schränken und zwei Jacken fanden sich bei den beiden entsprechenden bewohnern auch, die diese ohne zu murren anzogen.
Fräulein Azubi hat noch viel zu lernen. Sie ist übrigens 26 Jahre alt und würde wohl ihre eigene Oma bei so einem Wetter nicht ohne passende Kleidung rausschicken, aber mit bewohnern kann man es ja machen, knurr.
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Jesses, da hilft nur noch Humor.
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Wenn er morgen wieder kommt, wird er fragen, wo denn der Gürtel abgeblieben ist!
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In solchen Situationen ruhig zu bleiben ist echt Körperbeherrschung. Da hilft nur Humor 🙂
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und ich denk immer, in meinem job hätte ich schon mit den absoluten härtefällen unter allen vollidioten zu tun…;)
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Haha – als Angehörige fühle ich mich auch angesprochen 😉
Kleidung ist tatsächlich ein hochemotionales Thema. Meine Mutter war zuerst in einer ganz grauenhaften Kurzzeitpflege (aus der ich sie vorzeitig rausholte, bei der inzwischen auch Heimleitung und alles ausgetauscht wurde), da waren in kurzer Zeit alle ihre Sachen verschwunden, dafür hatte sie Kleidung von anderen Bewohnerinnen im Schrank. Ihre Brille war unauffindbar, alle BewohnerInnen wurden mit dem gleichen Kamm gekämmt etc…….
Nun ist sie seit Jahren wunderbar aufgehoben. Aber selbst dort wurden am Anfang bisweilen Kleidungsstücke verwechselt. Und es klingt in diesem Bericht natürlich ganz furchtbar herzlos, wenn der Sohn nur von den Kosten der Kleidungsstücke spricht. Aber einen Aspekt hat das natürlich, da die Kosten für eine Heimunterbringung und dem ganzen Drum und Dran nicht zu unterschätzen sind. Da fängt man bei jeder Extra-Rechnung an zu rechnen…….
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