Stille

10 Bewohner sitzen im Speisesaal zusammen. So viele Personen sitzen selten auf einem Fleck. Über 10 Minuten lang sagt niemand der Bewohner auch nur ein Wort, es sind geistig rege Bewohner und demente Bewohner. Meine Kolleginnen betreten den Speisesaal, reden kurz und sind noch schneller wieder weg. Ich schaue mir das vom Schwesternzimmer aus an.
Wie gesagt, 10 Minuten, eine relativ lange Zeit wenn man sich das mal vorstellt.
Zum Schweigen braucht man nicht zusammen sitzen. Also rein da und die Bande ein wenig aufmischen:

Frau W. stützt den Kopf mit der Hand am Tisch ab, hat einen völlig gelangweilten Ausdruck auf dem Gesicht. Gut, fangen wir da an. Ich gehe in den Speisesaal und setze mich auf einen freien Platz und imitiere die Frau.
Sofort sieht sie das:

„Mensch, äffst Du mich da nach?“ fragt sie.

„Nein, mein Kopf ist soooooo schwer.“ sage ich.

„Ach, lass doch die Frau in Ruhe!“ sagt Frau O.

„Nix, sie hat mich doch nachgemacht!“ sage ich und zeige mit dem Finger auf Frau W.

„Ach, Du bist doch gerade erst gekommen!“ sagt Frau K.

„Ne, ne, so nicht. Ich sitze hier schon eine Stunde!“ sage ich.

„Spinner! Gerade biste reingekommen!“ erklärt mir Frau R.

„Quatsch! Erstens ist das hier mein Raum und 2. bin ich hier nur von großen Räubern umgeben! Nächstes Mal benehmt ihr euch bitte!“ antworte ich.

„Dein Raum.Pah.Von wegen.Wir waren eher hier!“ sagt Frau M. (Frau M. ist geistig fit)

„Da müsst ihr alle gar nicht hinhören! Frau M. hat einen Alzheimerschub, bei der schneit es im Kopf!“ antworte ich.

„Ich gib dir gleich Schub!“ meckert sie.

„Im übrigen bin ich auch völlig ohne Sünde im Gegensatz zu euch ALLEN! Nehmt euch ein Beispiel an mir!“ informiere ich die Runde.

„Ja,ja!“ „Ach!“ „Mensch, hau ab!“ „Voller Sünde biste!“ usw hörte ich noch kurz.

Bevor ich den Raum verlassen hatte habe ich noch einigen Bewohnern Platzverweise erteilt, diese wurden aber nicht angenommen.

Ich gehe zurück in das Schwesternzimmer, winke nochmal zum Abschied in die Runde und posaune raus was ich für ein toller Pfleger bin und wie sich alle über meine Anwesenheit glücklich schätzen können.

Jetzt reden alle über den ´komischen Kerl´, aber auch wieder über andere Dinge. Sauer oder nachtragend ist wie immer niemand.

Besser so auf die nicht so feine Art als wenn sich jeder anschweigt. Meine Kolleginnen sehen das teilweise anders, würden so etwas auch nie bringen. Mir gehts dabei gut und den Bewohnern auch. Was will man mehr.

14 Antworten zu “Stille

  1. Wenn funktioniert, gut… hast Du nie Angst, dass ein solches Verhalten doch Konsequenzen haben könnte?

    Ich kann mir das schon gut vorstellen, wenn man den richtigen Humor hat, sind solche schrägen Aktionen super, aber den hat (leider) eben nicht jeder!

    Lieben gruss von einer Pflegerin zum anderen Pfleger 😉

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    • Der Heimleiter findet es in Ordnung, meine Stationsleitung mag es überhaupt nicht. Von daher..

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      • Ich frage nicht weil ich Dich kritisieren möchte, einfach nur weil ich weiss, was hinten rum alles so geredet wird.
        Auf der Arbeit mische ich den Laden auch gerne ein wenig auf, allerdings eben nur bei Bewohnern, bei denen ich wirklich weiss, die können es vertragen und teilen ebenso gut aus…
        Damit bin ich auch einmal richtig auf die Nase gefallen, Sohnemann der Bewohnerin fand das gar nicht lustig und hat sich beschwert, von wegen fehlendem Respekt vor der Alter, falsche Berufswahl usw…
        Ich habe den Eindruck Du weisst schon wo Du das machen kannst, bzw. wann es zuviel wird…

        Und wenn der Oberboss kein Problem damit hat… 😉

        LG

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      • Viele der männlichen Schüler fallen damit auf die Schnauze, die sehen es, finden es gut und machen es nach. Natürlich werden die Schüler nicht von mir dazu animiert.
        Wenn man da aber nicht ganz genau die Grenze findet wird es haarig. Ich bin jetzt nicht der „Altenflüsterer“ oder der tolleste Hecht im Karpfenteich, man kann das auch nicht lernen nach zig Berufsjahren, entweder man kann es oder man lässt es. Liest sich jetzt total bescheuert, ist aber so.

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  2. Na, ist ja auch eine Typfrage…ich könnte sowas an sich auch nicht bringen 😉 Find’s aber toll, wenn es gemacht wird.

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  3. Ich persönliche finde solche Sachen auch absolut positiv und toll. Wundere mich allerdings auch, dass es nie (?) z.B. Konsequenzen von Vorgesetzten hat. Nehmen die das auch immer so positiv auf? Oder beschwert sich auch mal ein Bewohner/eine Bewohnerin und es gibt entsprechende Ansagen *von oben*?

    Ansonsten: weiter so! Ich lese hier nicht nur unheimlich gern, mir gefällt auch der beschriebene Umgang sehr gut!

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    • Wie geschrieben, der Heimleiter findet es in Ordnung, ist eigentlich für solche Sachen zu haben. Natürlich sind Bewohner dabei, die man dann nicht einbezieht oder in Ruhe lässt. Angehörige schauen manchmal erst mit großen Augen, legt sich aber ziemlich schnell.

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  4. Das hast du mal richtig gut gemacht :-D.
    Wenn alle den gleichen Humor haben, dann darf man als Pfleger schon mal aufmischen. Mache ich auch so.

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  5. Ein Zivi aus meiner Bekanntschaft ist in so einem Fall ans Mikro im Schwesternzimmer gegangen und hat durchgesagt: „Am Gleis 2 fährt ab der Zug von München nach Augsburg, bitte von der Bahnsteigkante zurücktreten“…. usw. – (Ich hoffe, die Anregung zum Gehirnjogging hat bei manchen gewirkt :D) – Ansonsten – *find ich gut*, hoffentlich gerate ich in ferner Zukunft mal an Pfleger wie dich 🙂

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  6. Bewohner zufrieden, Pfleger zufrieden, was bitte soll man sich noch mehr wünschen?? Naja ein gutes Stück Kuchen und ne Tasse Kaffee vielleicht. Aber mehr geht wirklich nicht. In diesem Sinne ruhigen Dienst 🙂

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  7. Ich kann mir vorstellen, daß du deine flotten – und auch etwas frechen – Sprüche sehr gut ‚rüber bringst, so mit jungenhaftem Charme, so daß dir niemand böse sein kann. ,-) Und Charme und Humor wirkt in jedem Alter erfrischend und anregend. 😉

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  8. Ich finde das ebenfalls gut, wenn jemand etwas Leben in die Bude bringt. Mein Kollege macht sowas auch gerne und es hat sich noch niemand beschwert. Ich bringe auch ab und an flotte Sprüche an den Mann, also Bewohner, aber ich weiß auch bei wem ich das machen kann und bei wem nicht.
    Eine unserer Bewohnerinnen, Fr. S., geistig fit aber manchmal etwas depressiv, kommandiert uns Pflegekräfte sehr gerne. Ich drohte ihr bei der Morgenpflege an, das ich sie, wenn sie nicht gleich aufhört, nackig in ihrem Rollstuhl auf die vor dem Haus gelegene Verkehrsinsel schiebe und ihr zwei Wunderkerzen in die Hand drücke, mit denen sie dann den Autofahrern zuwinken kann. Sie meckerte, jaja, du bringst sowas fertig, grinste und kicherte vor sich hin, streckte mir die Zunge raus und unterließ ihren Kommandoton. Und von Depressionen keine Spur mehr.

    Mit jedem könnte ich aber sowas nicht machen.

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