Bauchschmerzen

Herr S. wohnt seit ihrem Schlaganfall bei uns, dies nun etwa acht Wochen. Ende Januar will die jüngste Tochter, 40 Jahre, den Vater nach Hause holen. Vorher soll er aber etwas selbstständiger werden. Es gibt noch zwei weitere Töchter. Problem an der ganzen Sache: Vater sagt etwas und die Töchter erledigen es. Sei es ein Glas Wasser eingießen oder das Fenster aufmachen. Jede Kleinigkeit wird abgenommen. Herr S.. kann durch die Reha und regelmäßige Krankengymnastik am Rollator laufen, sitzt aber auf Wunsch der Töchter ständig im Rollstuhl. So wird das nichts mit der Zielsetzung Ende Januar wieder halbwegs selbstständig zu Hause leben zu können. Dies habe ich den Töchtern auch schon öfters erzählt, ob ich das erzähle oder nicht, es interessiert nicht wirklich.

Seit einigen Tagen klagt Herr S. öfters über Bauchschmerzen. Diese Bauchschmerzen treten nun immer eine halbe Stunde vor dem Besuch der Töchter auf. Sonst nie. Ärztlich angeordnete Medikamente helfen laut seiner Aussage nicht. Ich persönlich glaube ihm das mit den Schmerzen nicht. Er möchte dann immer in das Bett. Von da aus kann man nämlich wunderbar die Töchter durch das Zimmer schicken und Sachen erledigen lassen, die man ja „gerne selber machen möchte, aber leider liege ich ja im Bett“. Die Tochter kann dann auch dem Vater Getränke anreichen, er braucht das Glas nicht selbst in die Hand nehmen. Sehr förderlich für die Selbstständigkeit.

Ich habe der Tochter auf seine Anfrage betreffend der Bauchschmerzen meine ehrliche Meinung gesagt. Sie schaut mich dann immer skeptisch an. Aber was soll ich sie anlügen? Vielleicht hat er Bauchschmerzen, vielleicht nicht. Der Hausarzt war zur Visite da, ich verabreiche die Medikamente, die er angeordnet hat. Fertig.

Nun verging wieder ein Nachmittag, es geht auf 17:00h zu. Ich rede mit meiner Kollegin:

„Du, gleich klingelt Herr S., er klagt dann über Bauchschmerzen.“ sage ich zu ihr.

15 Minuten später klingelt Herr S., er hat Bauchschmerzen, heftiger als jemals zuvor laut seiner Aussage.

Es ist Freitag, ich rufe den Hausarzt an, die Praxis ist 250 Meter entfernt:

„Sven, drei Möglichkeiten: Krankenhaus, Ultraschall bei mir in der Praxis, Schmerztropfen. Ruf mich zurück wenn die Familie sich für irgendetwas entschieden hat, ich kann zur Zeit so nicht zur Visite kommen, die Praxis ist voll.“

Ich erkläre der Tochter und ihrem Vater die Situation, die älteste Tochter ist auch dabei.

„Ja, mmmh, keine Ahnung, Maike (jüngste Tochter) sag Du mal.“ meint Herr S.

„Papa, was möchtest Du?“

„Nichts. Ins Bett will ich!“ sagt er.

„Willst Du nicht in die Praxis?“ fragt sie.

„Lass mich doch ins Bett!“ antwortet er.

Und so weiter. Nach drei Minuten bin ich wieder gegangen, ich habe der Tochter gesagt sie soll sich melden wenn beide zu einem Ergebnis gekommen ist.

Nach weiteren zehn Minuten steht die Tochter im Schwesternzimmer:

„Vater will ins Bett!“ sagt er.

„Du, das ist großer Mist, ehrlich. So wird das nicht besser mit ihm.“ antworte ich.

„Ja was soll ich machen? Er will nur ins Bett!“ meckert sie.

„Ich komme mal mit.“ sage ich.

Wir gehen zum Zimmer, Herr S. steht mit dem Rollstuhl vor dem Bett.

„Du, was ist jetzt mit deinen Bauchschmerzen?“ frage ich.

„Ne Sven, ich will nur ins Bett!“ erzählt er mir.

„So ist das aber Mist. Mein Vorschlag: Ich ziehe dir eine Jacke an und dann macht der Arzt schnell ein Ultraschall von dir. Praxis ist zwei Minuten entfernt. Dann weißt Du was Sache ist und er kann dich untersuchen.“ sage ich.

„Ja, los, dann aber schnell.“ sagt er.

„Will einer von euch mit ihm dahin oder soll ich jemanden von uns mit ihr hinschieben lassen?“ frage ich.

„Einer von euch soll Vater schieben, ich komme dann mit!“ sagt die jüngste Tochter.

Gut, der Kollegin Infos gegeben, sie schiebt Hernn S. zum Arzt, die jüngste Tochter geht mit.

Nach 50 Minuten ist die Kollegin wieder da.

„Und? Was ist mit dem Bewohner.?“ frage ich.

„Keine Ahnung.“ sagt sie.

„Wie keine Ahnung? Der Arzt muss doch was gesagt haben.“

„Bestimmt. Nur hat die Tochter mich aus dem Behandlungszimmer geschickt und auf dem Rückweg hat sie auch nichts gesagt.“ meint sie.

„Hää? Warum musstest Du dann überhaupt mit? Was ist das für ein Schwachsinn?“

„Keine Ahnung.“

Ich gehe in das Zimmer des Bewohners, zwei Töchter sind auch da.

„Na, wie gehts?“ frage ich.

„Gut, er hat so nix gefunden, mir gehts aber auch schon viel besser!“ sagt er.

Was will man mehr?

„Hattest Du noch beim Doc angerufen?“ fragt die jüngste Tochter.

„Ne, wenn was angeordnet wurde hättest Du es bestimmt meiner Kollegin erzählt. Selbst dabei sein konnte sie ja nicht, Du hattest sie ja rausgeschickt.“ antworte ich.

„Ey, man könnte meinen ich schikaniere hier die Mitarbeiter und jage sie aus den Behandlungszimmern, ist doch völliger Blödsinn jetzt. Ich habe sie nur aus dem Raum gebeten da der Raum zu klein war.“ ranzt sie.

„Immer locker bleiben! Von Schikane war nie die Rede, ich habe nur gesagt wie es war.“ antworte ich.

„Der Buhmann bin dann wohl ich. Finde ich nicht gut. Da war einfach kein Platz. Wird ja immer schöner hier.“ meckert sie.

„Mein Gott, komm mal runter. Du interpretierst da Sachen rein die keiner gesagt hat. Ich komme später nochmal wieder, vielleicht bist Du dann umgänglicher.“ sage ich und verlasse das Zimmer.

15 Minuten später kommt die älteste Tochter von Herrn S. zu mir:

„Ey Sven, macht meine Schwester hier immer einen auf Arschloch?“ fragt sie.

„Kein Kommentar. Du kennst deine Schwester doch länger als ich.“ sage ich.

„Allerdings. Ich kann es mir genau vorstellen wie es beim Arzt ablief. Sie macht einen auf Macker, schickt deine Kollegin aus dem ach so kleinen Raum und will das mit Mutter alleine klären. Für nachträgliche Infos gibt es ja das Telefon um den Doc zu erreichen. Die macht immer alles so umständlich. Eine Spinnerin ist das.“ sagt sie.

„Keine Ahnung. Alt genug ist sie ja um zu wissen was er macht.“ antworte ich.

„Der kannste den Marsch blasen wenn sie sich so aufspielt. Von mir hat sie gerade schon die große Kapelle bekommen. Typisch Bürofrau. Musste dir nix bei denken! Die will sich nur profilieren. Ihr hat es nur genervt weil ich mit im Raum war und ihr typisches Verhalten wieder einmal mitbekommen habe.“ sagt sie.

„Mach dir da mal keinen Kopf, alles in Ordnung.“

Einige Angehörige werde ich nie verstehen.

5 Antworten zu “Bauchschmerzen

  1. Da hat man als Pfleger doch noch mehr Arbeit mit den Angehörigen als mit den Bewohnern selbst. Mensch, alles so unnötig. Kann ja die Ängste und Sorgen und das Bemuttern verstehen, aber übertreiben kann mans halt auch. Warum man da dem Pfleger nicht zuhört ist mir schleierhaft.

    Lass dich davon bloß nicht reizen, Sven.

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  2. Ähnliches kenne ich allerdings aus eigener Erfahrung mit meiner Mutter. Zum einen kann es der berühmte Schrei nach Aufmerksamkeit sein, zum andereen kann auch etwas dran sein. Im Laufe der Jahre der Betreuung kam es – wenn auch selten vor – das – Muttern lebte noch zu Hause – selbst die Hausärztin verunsichert war. Auch die Physiotherapeutin war hin und wieder ratlos. Also wurde ein KWagen gerufen und ab gings ins Krankenhaus zum durch und durch checken. Die RöntgenAufnahme zeigte ein Bild der Wirbelsäule von abgenutzten Bandscheiben die Schmerzen verursachten. Abnutzungserscheinungen. Dazu kam dann noch dieser Glaube das der Schmerz weniger wird wenn sie sich nicht bewegt und lange im Bett bleibt. Nach solcher Exkurisonen ins KHaus – es kam allerdings in 11 Jahren nur 2 mal vor – war dann alles klar. Wir – Haushälterin und ich wußten dan das es entweder um Aufmerksamkeit ging oder – das lernten wir mit der Zeit zu unterscheiden das die Schmerzen wirklcih stark waren. Dann gab es Schmerztropfen.

    Letzte Woche besuchte ich meine Ma im Altenheim. Als ich kam war ein RiesenBohai am Gange. Sie wollte nicht aufstehen (um 11.45) weil ihr alles weh tat. Die Schwester da ziemlich ratlos. Es war ein Drama. Als ich dann das Tiramisu auspackte war auf einmal alles vergessen.

    Bei solchen Söhnen „einer ist auch noch Leerer oh Graus “ – Muttern weiß genau welche Knöpfe sie drücken muß. Wäre ich Pfleger ich würde hin und wieder „etwas undiplomatisch werden“. But than . . ich weiß warum ich kein Diplomat geworden bin . . . 🙂

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  3. ich lese mit. 😉

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