Herr B.

Seit Tagen liegt Herr B. im sterben, die 3 Töchter sitzen den ganzen Tag im Zimmer bei dem Vater, nehmen Abschied von ihm.
Herr B. ist klar bei Verstand, kann aber nur noch per leichtem Kopfnicken sich äußern.
Morphingabe alle 4 Stunden.
Tag und Nacht sind die Töchter da, schlafen sogar in dem Zimmer.
Am 4.Tag hintereinander sind man die Schlafentzugserscheinungen bei den Töchtern doch schon sehr.
4 Personen (inklusive Vater) in einem Zimmer, das zerrt irgendwann an den Nerven.
Die Töchter wollen gerne das der Vater es ´schafft´und sich nicht mehr auf dieser Erde quälen muss.

„Sven, wie lange kann das noch dauern mit unserem Vater?“

„Kann man überhaupt nicht sagen, gestern hatte ich frei, ehrlich gesagt habe ich gedacht das ich Ihren Vater heute nicht mehr sehen werde.“

„Haben wir auch alle gedacht.“

„Viele Bewohner sterben gerade dann wenn niemand im Raum ist. Stundenlang sitzen die Kinder in dem Zimmer, gehen kurz an die frische Luft oder eine Zigarette rauchen, kommmen wieder und der Elternteil ist verstorben.“

„Echt?“

„Klar.Ganz oft passiert das. Und Sie sind nun ja Tag und Nacht hier, Ihr Vater sieht seine Töchter 24 Stunden lang, vielleicht kann er da nicht loslassen.“

Die Kinder haben sich dann geeinigt. Die kommende Nacht wollen sie alle nach Hause fahren und dort schlafen.
Kurz nachdem die Töchter gefahren sind ist Herr B. verstorben. Alleine.
Ich denke das war in seinem Sinne.

9 Antworten zu “Herr B.

  1. seltsames phänomen, dieses „nicht sterben können, wenn angehörige da sind“. bei meinem bruder war es auch so. er war die letzte zeit vor seinem tod zu hause, nicht im krankenhaus, und die meiste zeit war jemand von uns bei ihm. gestorben ist er schließlich in den frühen morgenstunden – der einzigen tageszeit, in der er alleine war…

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  2. Das ist oft so, dass die Sterbenden dann gehen, wenn sie alleine sind. Vielleicht ist dieser Augenblick für Viele von einer so großen Intimität, dass sie selbst die geliebten Mitmenschen nicht dabei haben wollen…

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  3. Mir fällt bei diesem Phänomen immer ein Spruch ein :
    „Man kann durchs Leben geh´n zu zwein oder drein-den letzten Weg muss man gehen allein“
    Vielleicht ist ja wirklich was dran, ich habe es jedenfalls auch schon öfters erlebt. Ich finde es gut wie Du mit den Töchtern gesprochen hast und ihnen dadurch den Druck dableiben zu müssen genommen hast.
    Im übrigen: Vielen Dank für Deinen Blog, ich kann viele Deiner Erfahrungen bestätigen (arbeite auch im Altenheim).

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  4. Noch etwas anderes fällt mir auf: Manchmal scheint Pflegepersonal – solches wie Du! – mehr von den Bedürfnissen der Menschen zu wissen als die nächsten Angehörigen. Die nämlich hängen einer Illusion nach, der heilen Familie, die sie meist selbst nicht mehr haben wollten (oder konnten, deshalb das Altenheim). Aber Du …

    Trüge ich einen Hut, ich zöge ihn mehrmals täglich vor Dir (und vor allen Deinen Kollegen, die ähnlich wie Du das Wohl der Menschen im Auge behalten).

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  5. ich denke auch das loslassen – sterben – oft nur alleine geschehen kann. bei meinem vater war es auch der fall.

    @silberträumerin

    ja der moment wenn die nacht noch nicht vorbei und der tag noch nicht angebrochen ist . . . . in dieser zeit ist mein vater auch von uns gegangen . . . .

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  6. Es ist oft die Nacht, die Zeit zwischen Mitternacht und Morgen, wenn sich die Seelen auf die Reise machen.

    Aber wusstest Du, lieber Sven, dass die allermeisten Geburten auch um diese Zeit beginnen? Hat mir meine Freundin, die Hebamme ist, erzählt.

    Es scheint die Stille und Intimität der Nacht zu sein, die für solche Ereignisse wie Tod und Geburt prädestiniert scheinen.

    Du hast das gut gemacht, die Töchter zu ermutigen, daheim zu schlafen und ihrem Vater damit den Weg zu erleichtern.

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  7. Wir hatten einen Bewohner, der uns allen sehr ans Herz gewachsen war. Er kämpfte 4 lange Tage gegen den Tod, weil er seine Kinder nochmal sehen wollte, die aber leider nicht gekommen sind. Er hatte furchtbare Schmerzen, bekam dann auch Morphin. Wir rannten ständig in sein Zimmer um nach ihm zu sehen, ob er etwas braucht, ob wir etwas für ihn tun können. Und wollten ihm das Gefühl geben nicht alleine zu sein, wenn schon sonst niemand zu ihm kam. Und trotzdem – er war einmal für 10 Minuten alleine – starb er gerade in diesem Zeitraum, obwohl wir ihn doch begleiten wollten.
    Ich habe später dann mal einen Satz gelesen, der mich tief beeindruckt hat: „Welches Zimmer verläßt man leichter? Ein Zimmer, in dem sich die geliebten Angehörigen und Freunde befinden oder ein leeres Zimmer?“
    Ich denke, die Antwort ist klar.

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  8. Ich schließe mich Emil an.
    Mein Mann hat mir schon ganz klar gesagt, dass er bitte, wenn es für ihn mal ans Sterben geht, alleine gelassen werden möchte, damit er sich in Ruhe lösen kann. Geht mir genauso.

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  9. Mutter, Omi… beide, genau so.
    Meine Omi sagte sogar, nun geht doch endlich…
    Toller Blog, trostspendend, danke.

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